Hallo Comicfreunde,
ich habe mir für die kommenden sechzehn Monate etwas besonderes vorgenommen. Ich werde monatlich "From Hell" Kapitel für Kapitel behandeln. 1989 erschienen gehört "From Hell" zu den Graphic Novells die jeder Comicfan gelesen haben sollte. Ich sage bewusst Graphic Novell weil es hier wirklich angebracht ist. Aber das werden wir schon noch früh genug merken. Alan Moore und Eddie Campbell haben mit "From Hell" einen Klassiker der Comic-Literatur geschaffen, den ich schon früh in mein Herz geschlossen habe.
Als erstes möchte ich ein wenig über die Ausgabe schreiben, die ich behandeln werde. Es ist die 2006 im Knockabout Verlag erschienene Softcover Ausgabe mit angehangene Karten und Appendix 1 und 2. Ich hatte das Glück, dass meine Freundin so aufmerksam war und meine Kommentare im Buchladen sich gemerkt und mir "From Hell" zum Geburtstag geschenkt hatte. Ich habe damals wirklich lange gebraucht um den Comic zu beenden, doch das verstärkte nur den intensiven Eindruck, den der Comic hinterlässt.
Doch beginnen wir nun mit dem ersten Teil von Sechzehn. Die erste Seite hält für uns nur Text bereit. Beim ersten Lesen konnte ich mir nicht wirklich zusammenreimen was Moore damit bezwecken wollte, doch nach ein paar Minuten war es mir klar. Ich hatte versucht den Text direkt an die Geschichte zu verknüpfen, doch das ist gar nicht die Intention. Es ist eine Aufforderung an den Leser, das Kommende genau zu betrachten und kritisch zu hinterfragen. Moore fordert uns auf die Augen auf zu machen und wie ein Detektiv in diesen (aus seiner Sicht) Tatsachenbericht das Verbrechen nach zu vollziehen.
Das erste Panel ist sehr bezeichnend für den Comic. Der Kadaver einer Möwe im verdrehten und teilweise verwesten Zustand ist erst der Anfang der Abscheulichkeiten, die uns in diesem Comic noch erwarten. Wenn jemand zartbesaitet ist und jetzt schon zurückschreckt sollte den Comic bei Seite legen. Der Prolog findet am Strand von Bournemouth im September 1923 statt. Die beiden Gestalten die sich über Politik unterhalten und am Strand spazieren gehen sind Ex-Detective Abberline und Robert James Lees. Im Zuge der Diskussion über die nächsten Wahlen erhitzen sich die Gemüter und Lees offenbart Abberline, dass er all seine Visionen über die Jahre vorgetäuscht hatte. Abberline kann es nicht glauben und Lees führt ihm vor wie er die epileptischen Anfälle vorgetäuscht hatte. Auch auf den Einwand von Abberline hin, dass alles was Lees prophezeit hat auch eingetreten ist, antwortet er nur mit einem "I made it all up, and it all came true anyway. That's the funny part."
Es folgt Schweigen. Abberline kann dazu nichts mehr sagen. Doch offensichtlich ist dieses Geständnis in ihrem Alter nicht mehr wichtig und es lohnt sich nicht mehr darüber ärgerlich, überrascht oder sonstwie seine Zeit damit zu verschwenden. Gleichtgültigkeit trifft es am besten.
Die nächste Szene ist jedoch nicht von Gleichgültigkeit geprägt. Die beiden alten Herren überraschen ein Pärchen beim Akt und Abberline ist im höchsten Maße erzürnt und angewidert von diesem unzüchtigen Verhalten. Seine Reaktion ist sehr extrem und bildet einen harten Kontrast zur Aufnahme des Geständnis seines Freundes. Meiner Meinung nach liegt es an der sexuellen Komponente des Fehlverhaltens. Moore ist bekannt dafür, dass er Sexualität extrem interessant findet und herausarbeitet in seinen Comics. "From Hell", oder allgemeiner die Geschichte um Jack the Ripper ist gefüllt mit Sex, Gewalt und Perversion, alles Dinge mit denen Moore gut arbeiten kann. Moore überträgt die Abneigung dieser Extrema auf Abberline um die geknackte Seele von dem Detective auszuarbeiten. Hier ist die erste Spitze, die den psychischen Zustand von Abberline skizziert.
Die folgende Szene betrifft zum ersten Mal die eigentliche Geschichte. Es wird direkt geklärt, dass die beiden bezahlt wurden Nichts zu offenbaren. Als Leser wird einem nun eröffnet, dass die beiden wissen wer der Ripper war und aus Angst das Geld genommen haben um den Mächtigen Figuren im Hintergrund keinen Grund zu liefern ihnen auch die Kehlen durchzuschneiden. Es nagt an beiden, dass sie damals nicht das Rückgrat besessen und die Wahrheit in die Welt hinaus getragen haben. Doch was noch schlimmer ist, sie sind auch noch finanziell gut dabei weggekommen und haben sich mit ihrem Schweigen ein schönen Lebensabend gesichert. Durch diese Offenbarung direkt am Anfang wissen wir schon wie alles ausgehen wird. Ab jetzt ist nur noch das "Wie" interessant und das "Wieso". Wir wissen, dass der Mörder sich der Justiz entziehen konnte und die Opfer keine Gerechtigkeit erfuhren. Die Schattenmänner und Frauen haben das "Spiel" gewonnen und haben ihren Status gesichert. Ab nun beginnt keine Detektivgeschichte. Es ist die Autopsie eines Tatsachenberichts ohne Happy End...
Nächsten Monat geht es weiter mit Chapter One und der Initialzündung für die Rippermorde.